TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Unsterblich"

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12. Mai, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Unsterblich"
Niemand möchte gern an der eigenen Beerdigung teilnehmen, aber das lässt sich nun mal nicht vermeiden; es sei denn, es gelingt irgendwie, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen. Der Titel dieses clever konstruierten "Polizeiruf"-Krimis aus Magdeburg, "Unsterblich", ist dennoch irreführend, zumal er tödlich beginnt.

Eine auffallend bunt zurechtgemachte junge Frau verabschiedet sich frohgemut von einem älteren Mann, sie spricht vom "Jackpot". Ihr vermeintlicher Hauptgewinn entpuppt sich jedoch als tödliche Niete: Kurz drauf stürzt sie durch das Oberlicht eines Einkaufszentrums in die Tiefe. Ihre Geschichte ist damit vorbei, doch die des neunzehnten Falls für Doreen Brasch (Claudia Michelsen) beginnt nun erst.

Bei der Toten handelt es sich offenkundig um Aalisha Mansour, eine äußerst erfolgreiche junge Influencerin, deren Stern jedoch gesunken ist, nachdem sie für ein Abnehmprodukt geworben und später zugegeben hatte, dass ihr Gewichtsverlust ganz andere Gründe hatte. Die Folge war ein veritabler Shitstorm, an dem sich selbst der eigene Bruder beteiligt hat. Sie sei hohl wie eine Christbaumkugel, schrieb Mahdi (Mo Issa) in einem Kommentar; er wünschte ihr, sie möge in tausend Teile zerspringen. Kein Wunder, dass Brasch den jungen Mann umgehend ins Visier nimmt, zumal sie ohnehin von Anfang Zweifel an der Suizidtheorie ihres Chefs Uwe Lemp (Felix Vörtler) hatte. Tatsächlich entdeckt der Rechtsmediziner (Henning Peker) im Blut des Leichnams Spuren von K.o.-Tropfen; bei der Obduktion findet er außerdem Abwehrspuren. Der erste Akt des Films endet mit einem Knüller: Das zweifelsfrei von der Schwester (Eman Dwagy) identifizierte Opfer ist offenbar eine Doppelgängerin. 

Davon abgesehen erfreut Michael Gantenbergs Drehbuch durch diverse Facetten. Natürlich geht es auch um Schein und Sein in der YouTube-Welt sowie um die Träume junger Frauen vom schnellen Ruhm, ganz gleich, ob mit Hilfe einer Castingshow oder als Influencerin. Darüber hinaus erzählt "Unsterblich" vor allem von einer familiären Tragödie: Das Ehepaar Mansour (Tahani Salim, Husam Chadat) ist einst aus einer arabischen Diktatur geflohen und hat sich in Deutschland eine neue Existenz aufgebaut. Dass seine Tochter tot ist und der Sohn als mordverdächtig gilt, ist zuviel für den Vater. Mahdi hat allerdings ein Alibi und fordert Brasch auf, ihre Vorurteile zu hinterfragen. Erschüttert muss die Kommissarin einräumen, allzu voreilig dem "Nazi im Kopf" nachgegeben zu haben. 

Es schwebt ohnehin viel Schwermut über dem Film, und das nicht nur wegen der Verletzung, die Lemp im letzten Fall um Haaresbreite das Leben gekostet hätte. Der Abteilungsleiter, nach wie vor an Leib und Seele erheblich angeschlagen, lebt vorübergehend in einer Pension, weil er nicht in der Lage ist, das Haus zu betreten, in dem er beinahe gestorben wäre. In einem berührenden Gespräch mit Brasch fragt er sich, was dereinst bleiben werde, wenn er nicht mehr sei. Für weitere Melancholie sorgt das Wissen um zwei Ereignisse, die sich erst lange nach den Dreharbeiten zugetragen haben: Zu Beginn des Jahres ist Pablo Grant (Jahrgang 1997) gestorben; er hat seit 2020 den für die Hintergrundrecherche zuständigen Kriminaloberkommissar Günther Márquez verkörpert. Auch Hendrik Arnst lebt nicht mehr. Er spielt in "Unsterblich" den Bewohner eines Seniorenheims, der die junge Altenpflegerin Giulia, das tatsächliche Opfer, wie eine Enkelin geliebt hat. 

Regisseur Florian Kittel hat zuletzt die vor allem musikalisch mitreißende RTL-Serie "Disko 76" inszeniert. "Unsterblich" schlägt nicht nur einen gänzlich anderen Tonfall, sondern auch ein ungleich bedächtigeres Tempo an, was angesichts der Geschichte natürlich angebracht ist. Auch darstellerisch ist der Krimi sehenswert. Hannah Gharib ist zwar keine Anfängerin mehr, spielt hier jedoch als todgeglaubte Aalisha nach Episodenauftritten in einigen Serien ihre erste Filmhauptrolle und macht das sehr eindrucksvoll. Allerdings hat Gantenberg auch eine dankbare (Doppel-)Rolle für sie geschrieben. Narzissmus ist vermutlich eine gute Grundlage, um als Influencerin Erfolg zu haben, doch die junge Frau entpuppt sich zudem als raffiniert manipulativ; Gharib spielt das so andeutungsreich, dass ein verräterischer Spiegelblick gegen Ende gar nicht nötig gewesen wäre. Das Finale trägt sich erneut auf dem Dach des Einkaufszentrums zu, Vergangenheit und Gegenwart werden auf schockierende Weise eins; nun zeigt sich erst, wie düster die Nachtfaltermetapher der ersten Szene ist. Motten und Licht: Das verträgt sich nicht.